Mengeles Malerin
Sendung vom 01.04.2007 23:00 Uhr (NDR)
Das Tor des Konzentrationslagers
Grossformatiges Bild
Sieben Porträts von todgeweihten Sinti und Roma - diese Bilder im Museum Auschwitz haben einen unermesslichen Wert. Es sind Aquarelle, die ihrer Malerin das Leben gerettet haben. Die Malerin lebt heute am anderen Ende der Welt, in Südkalifornien: Dina Babbitt, geborene Gottliebova. Erst Anfang der 70er Jahre fand das Museum in Auschwitz heraus, das Babbitt diese Bilder gemalt hatte. Sie bekam einen Brief von der Gedenkstätte, den sie in Gegenwart ihrer beiden Töchter öffnete: "Ich habe sehr wenig mit ihnen über den Holocaust gesprochen, fast niemals. Ich habe gesagt, ich habe einmal Bilder gemalt und man hat sie jetzt gefunden, die ich in Auschwitz gemacht habe. Und die Kinder waren selbstverständlich ganz aufgeregt darüber und ich habe gesagt, deswegen seid ihr am Leben. Diese Bilder haben mir das Leben gerettet und der Oma - das sind sehr wichtige Bilder."
Wichtig für beide Seiten
Der berüchtigte SS-Arzt Josef Mengele wollte die Aquarelle für seine perversen Rassenstudien. Sieben Porträts sind erhalten, sie hängen in der Gedenkstätte.
Wichtig sind die Bilder für beide Seiten. Für Dina Babbitt sind sie ein Stück ihrer Seele, wie sie sagt. Für das Museum in Auschwitz sind sie ein Erbe der Menschheit, ein unersetzlicher Teil des Gedenkens an diesem Ort, meint Vizedirektorin Kristina Oleksy: "Das ist mehr als der Konflikt um diese sieben Zigeuner-Portraits. Es geht um das Erbe des Holocaust. Es geht um die Entscheidung, wer die Rechte hat, zu entscheiden, wem das gehört."
1973 fährt Dina Babbitt nach Auschwitz, um ihre Bilder zu holen. Das Museum habe sie ihr nicht gegeben - so ihre Version. "Wie ich zu den Leuten sprach, die mir die Bilder nicht rausgeben wollten, hatte ich das Gefühl, ich sei so hilflos ihnen gegenüber wie ich es gegenüber den SS-Leuten als Häftling war. Und so habe ich mich wieder irgendwie als Häftling gefühlt. Und um mich vollkommen zu befreien... Ich habe das Recht an den Bilder. Ich bin überzeugt davon, dass die mir gehören." Das Museum hingegen sagt, sie wollte damals nur Fotos ihrer Bilder und die habe sie auch bekommen. "Das ist eine der schwierigsten Erlebnisse in der Zeit, in der ich als Vizedirektorin gearbeitet habe und arbeite", sagt Oleksy. "Ein Konflikt mit den Überlebenden, das ist das letzte, was ich mir wünschen kann."
Die Malerin: Ein Teil bleibt im KZ gefangen
Angefangen hat es mit dem Bild "Schneewittchen und die sieben Zwerge", das Babbitt an die Wand des Kinderblocks in Auschwitz malte. Mengele erfuhr von ihrem Zeichentalent und fragte sie, ob sie in Portraits von Sinti und Roma den Farbton der Haut genau treffen könne. Farbfotografien reichten ihm nicht für seine Rassenforschungen. Und selbst Mörder Mengele saß ihr am Ende Modell.
Alles wurde Dina Babbitt damals weggenommen. Umso wichtiger sind ihre Bilder für sie. Sie sagt, solange die Porträts in Auschwitz seien, bleibe ein Teil von ihr im KZ gefangen. 1997 fuhr Babbitt erneut nach Auschwitz. Wieder erfolglos. Der Vizedirektorin der Gedenkstätte geht es ums Prinzip. Sie fürchtet, dass nach dem Vorbild von Dina Babbitt weitere Familien von Überlebenden Besitzansprüche stellen könnten: "Das ist unsere Angst, denn, wenn so etwas kommt, dann sind wir in zwei, drei Jahren ein Museum der Kopien."
Keine Lösung in Sicht
Was wiegt mehr? Das Recht einer Künstlerin oder das Recht der Allgemeinheit? Darüber streiten mittlerweile sogar amerikanische Politiker und Künstler mit der polnischen Regierung und dem internationalen Auschwitzrat. Doch wer soll entscheiden?
Dina Babbitt ist inzwischen 84. "Die Bilder in der Hand zu halten, würde mir auch sehr viel bedeuten. Sie nur in der Hand zu halten, egal wie lange - Minuten, eine Stunde. Und meine Kinder auch. Dass wir sie hier haben und sehen können, das würde mir sehr viel bedeuten." Doch inzwischen sprechen beide Seiten gar nicht mehr miteinander. Die Fronten sind verhärtet. Ein trauriger Streit und keine Lösung in Sicht - damals nicht und heute erst recht nicht.
Quelle:
http://daserste.ndr.de/titelthesentemperamente/archiv/2006/t_cid-3856616_.html